Stadtentwicklung mit Satellitenbildern
Mit Hilfe von Satellitenbildern erstellen Wissenschaftler am DLR globale Karten von Städten. Diese sollen helfen, die Urbanisierung im Zeitalter des Klimawandels zu planen und zu bewältigen.
„Als ich als kleines Kind zum ersten Mal ein Bild der Erde aus dem Weltraum sah, fand ich das einfach unglaublich beeindruckend“, erzählt Dr. Xiaoxiang Zhu, Leiterin der Abteilung Erdbeobachtungsdaten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Das hat mein Interesse am Weltraum geweckt und seitdem bin ich fasziniert davon.“
Neben ihrer Tätigkeit beim DLR ist Zhu seit 2015 Professorin für Signalverarbeitung in der Erdbeobachtung an der Technischen Universität München (TUM). Geboren 1984 in Hunan, China, entschied sie sich, ihr Interesse an der Raumfahrt weiter zu verfolgen und schloss in China einen Bachelor-Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik ab. Im Jahr 2008 zog Zhu nach München, um an der TUM einen Master und einen Doktortitel in Ingenieurwissenschaften zu machen. Für eine Wissenschaftlerin, die sich schon in jungen Jahren sowohl für den Weltraum als auch für Mathematik interessiert hat, war es ein besonderes Glück, dass sie sich nun täglich mit Daten und Bildern aus dem Weltraum beschäftigen kann.
Zusammen mit ihrem Team am DLR in München forscht Zhu an der Nutzung von Methoden der Signalverarbeitung und des Machine Learnings, um Geoinformationen aus frei verfügbaren Petabytes von Satellitendaten zu gewinnen. Ein Petabyte entspricht tausend Billionen (oder 1.000.000.000.000.000.000) Bytes digitaler Information. „In den letzten Jahren hat sich das Gebiet der Erdbeobachtung dramatisch verändert. Heute sind bis zu hundert Petabyte an Satellitendaten von unterschiedlichen Sensoren frei verfügbar“, erklärt sie.
Mit Social Media-Daten und Satellitenbildern gegen Urbanisierung und Klimawandel
Zhu und ihr Team befassen sich insbesondere mit der Frage, wie große Mengen Geoinformation aus Satellitendaten extrahiert und für die Kartierung städtischer Gebiete auf der ganzen Welt verwendet werden können. Letztendlich soll daraus ein globales Stadtmodell erstellt werden, mit dem die Herausforderungen im Zusammenhang mit der rapide wachsenden globalen Verstädterung bewältigt werden können. Denn im Jahr 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Zwar werden die städtischen Gebiete sicherlich zu einer Quelle des Wirtschaftswachstums, aber sie werden auch mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert sein, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Beispielsweise könnten die Sommer in Berlin bis 2050 so heiß und trocken werden wie in der australischen Hauptstadt Canberra.
Um Antworten auf diese Probleme zu finden und die Nachhaltigkeit der Städte zu sichern, benötigen wir auf globaler Ebene umfassendere Daten. Nur so können sich Stadtklimatologen, die die Wechselwirkungen zwischen städtischen Gebieten und der Atmosphäre untersuchen, auf die Zukunft vorbereiten. Hier kommt das So2Sat-Projekt unter der Leitung von Zhu ins Spiel. Ziel des So2Sat-Projekts ist es, Wissenslücken zu schließen und besser zu verstehen, wie sich Städte im Laufe der Zeit entwickeln. Es geht darum, Algorithmen für das Machine Learning zu entwickeln, die große Mengen von Bild- und Textdateien aus sozialen Netzwerken mit Petabytes von Fernerkundungsdaten verschiedener deutscher und europäischer Erdbeobachtungssatelliten effektiv kombinieren können. Daher der Projektname, So(cial media data)2Sat(ellite data).
Derzeit vermessen mehrere Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation (sog. Sentinel-Satelliten) die Erdoberfläche. Die Messungen erfolgen jedoch nicht in einer Form, die für Stadtklimatologen geeignet ist. Die Fusion riesiger Mengen von Social-Media-Daten mit Daten von Erdbeobachtungssatelliten könnte dazu beitragen, hochauflösende 3D- und 4D-Karten von Städten auf der ganzen Welt zu erstellen, die genauere Informationen über verschiedene Arten von Gebäuden, Infrastrukturen sowie über die Bevölkerungsdichte liefern dürften. „Wir werden diese Daten für jeden zugänglich machen und hoffen, dass sie zu einem besseren Verständnis des globalen Urbanisierungsprozesses führen werden“, sagte Zhu in einem TEDx-Vortrag 2019. „Wir möchten diese Daten Interessenvertretern, wie der UNO, zur Verfügung stellen, um ihnen bei strategischen Entscheidungen zu helfen.
„Ich möchte junge Menschen, die sich für maschinelles Lernen interessieren, ermutigen, sich auf die großen Herausforderungen zu konzentrieren, denen sich die Menschheit heute gegenübersieht, wie Klimawandel und Urbanisierung.“
Dr. Xiaoxiang Zhu
Offener Zugang zu Daten, für eine stärkere globale Wirkung
Lange gab es keinen universellen oder leicht zugänglichen Ansatz, um die räumliche Beschaffenheit von Städten zu beschreiben und sie über geografische Regionen hinweg für Stadtklimatologen zu vergleichen. Um dieses Problem zu beheben, entwickelten Wissenschaftler das Klassifikationsschema für lokale Klimazonen. Es teilt Landschaften in 17 Zonen ein, die sich durch die verschiedenen Eigenschaften des Bodens unterscheiden, wie z.B. Oberflächenstruktur (z.B. Höhe, Dichte und Anordnung von Gebäuden und Vegetation) und Oberflächenbedeckung (z.B. Anteil an Grün, Flächen, die Wasser durchsickern lassen, und undurchlässige Oberflächen wie Beton).
„Diese Einteilung kann dabei helfen, zu erkennen, wo die Wärmeinseln liegen, was bei der Untersuchung der Auswirkungen des Klimawandels auf städtische Gebiete sehr wichtig ist“, sagt Zhu. Es gibt zwar bereits Algorithmen, die solche Karten anhand der Daten berechnen, aber sie sind noch immer verbesserungsfähig. Durch zuverlässigere Karten der lokalen Klimazonen können Stadtklimatologen mit der vorausschauenden Planung beginnen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremtemperaturen infolge des Klimawandels ergreifen, wie zum Beispiel das Pflanzen von hitzebeständigen und schattenspendenden Bäumen aus dem Mittelmeerraum.
Zhu, die bereits viele wissenschaftliche Auszeichnungen wie den Leopoldina Early Career Award und den PRACE Ada Lovelace Award 2018 erhalten hat, glaubt, dass die nächste Generation von Datenwissenschaftlern einen großen Unterschied machen kann, wenn sie ihre Fähigkeiten im Bereich der Erdbeobachtung einsetzt.
Artikel: Charmaine Li