Mit Machine Learning das Klima vorhersagen
Mit Hilfe von Machine Learning versucht Eduardo Zorita herauszufinden, welche Faktoren das Klima beeinflussen. Sein Ziel: Schon im Sommer den Niederschlag im Winter vorraussagen und so Missernten verhindern.
In Spanien und Italien gab es 2017 einen verheerenden Dürresommer. Mandeln und Oliven schrumpften, die Getreideerträge sanken auf den niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren. Wie kann die Klimaforschung die Menschen auf solche Ausnahmezustände vorbereiten?
Indem sie möglichst genaue Vorhersagen macht, was auf uns zukommt. In der Abteilung für Klimafolgenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht arbeiten wir an Modellen und Simulationen zu Klimadynamik. Diese zeigen beispielsweise, wie Stürme entstehen und machen saisonale Vorhersagen von Wasserständen und dem Anstieg der Meeresspiegel an Küsten. Ich selbst beschäftige mich mit Dürrevorhersagen im Mittelmeerraum.
Worum geht es dabei genau?
Ob wir einen Dürresommer bekommen, entscheidet sich im vorangegangenen Winter, in dieser Zeit fallen achtzig Prozent des Niederschlags. Regnet es zwischen Oktober und März wenig, ist eine Dürre im Sommer zu erwarten, denn die Böden sind bis in tiefe Schichten trocken, die Wasserspeicher in den Stauseen überdauerten die wärmeren Monate nicht. Unsere Überlegung ist: Wenn wir jeweils im Sommer des Vorjahres vorhersagen könnten, wieviel Niederschlag es im Winter geben wird, könnte die Landwirtschaft rechtzeitig vorbeugen, indem sie zum Beispiel trockenheitsresistente Arten einkauft. Die Wassernutzung anderer Industrien ließe sich darauf abstimmen, indem etwa weniger Wasserkraft genutzt wird, wenn Dürren zu erwarten sind. Und Dürren werden laut Weltklimarat IPCC in den kommenden Jahren in vielen Regionen rasant zunehmen. Wir brauchen Klimamodelle, die möglichst zuverlässige Voraussagen machen. Das ist ein sehr spannendes Feld, in dem es noch viel zu tun gibt.
Wie sind Sie zur Klimaforschung gekommen?
Ich bin mit Naturwissenschaften aufgewachsen. Meine Mutter war Biologin, mein Vater Tierarzt. Oft wurde bei uns am Küchentisch über wissenschaftliche Themen diskutiert, ich erinnere mich noch wie mir meine Mutter von der Arbeit mit Zellkulturen erzählt hat, warum man das macht, wie man die Kulturen füttert, was man mit dem Mikroskop darin finden kann. Wie mir mein Vater die richtige Ernährung von Kühen erklärt hat, was sie essen müssen, damit sie mehr und gute Milch geben und lange gesund bleiben. Als Teenager hatte ich dann einen Mathelehrer, der mit einer kleinen Gruppe Astronomie erforschte. Manchmal haben wir uns nachts getroffen und mit dem Profi-Teleskop unserer Schule Bilder von Himmelskörpern gemacht…
…klingt ein wenig nach Club der toten Dichter, dem Kultmovie mit Robin Williams...
…davon hatte es etwas, ja. Mich hat damals die Leidenschaft für Physik gepackt. In Saragossa habe ich studiert und schließlich in Materialphysik promoviert, die hatte dort einen besonders guten Ruf. Langfristig aber war das nichts für mich. Zu viel Laborarbeit, Messungen, manuell zu fummelig und zu technisch.
Regionale Phänomene können das globale Klima beeinflussen
Durch eine Stipendienreise des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) sind sie Mitte der 1980er zum Max-Plank-Institut für Meteorologie in Hamburg gekommen.
Der Klimaforscher Josef Oberhuber hatte dort einen kolossal beeindruckenden Vortrag über die Meeresströmung El Niño und seinen Einfluss auf die plötzliche Erwärmung des tropischen Pazifiks gehalten. Da habe ich verstanden, wie sehr regionale Phänomene das globale Klima beeinflussen können. Es war mein Schlüsselerlebnis. Dort wollte ich arbeiten. Ich habe den Laborkittel an den Haken gehängt und gegen den Bürostuhl am PC getauscht, obwohl ich keine Ahnung von Datenanalyse und Klimamodellen hatte. Ein staatliches Forschungsstipendium von Spanien machte es möglich. Tag und Nacht bin ich in die Bibliothek gegangen, um mich einzuarbeiten. Mein erstes Thema: Ursachen der Dürreperioden in Spanien und Klimamodelle, mit denen sich Trockenzeiten vorhersagen lassen. Wahnsinnig spannend.
Was macht Klimaforschung denn so interessant?
Es ist ein extrem komplexes, vielseitiges Feld. Physik, Chemie, Meteorologie, Biologie, Datenwissenschaften, alles gehört dazu. Ungeheuer viele Parameter beeinflussen sich gegenseitig. Später waren es auch die gesellschaftliche Verantwortung und die Fragen nach den sozialen Folgen des Klimawandels, die mich motiviert haben, mich in diese Forschungsfragen hineinzuknien. Man kann hier viel bewirken.
Dabei haben Sie sich eine Zeit lang auch mit dem Paleoklima beschäftigt, dem Klima der Vergangenheit. Worum geht es da?
Wir untersuchen Klimaveränderungen der vergangenen 2000 Jahre. Welche Abweichungen gibt es, wie hängen sie mit menschlichem Verhalten zusammen, mit der Sonnenaktivität, mit Vulkanausbrüchen? Welcher Faktor spielte welche Rolle? In der Paleoklimaforschung arbeiten wir eng mit Historikern zusammen und stoßen dadurch immer wieder auf interessante Zusammenhänge.
Zum Beispiel?
Vor 500 Jahren etwa gab es auf der Erde eine kleine Eiszeit, die sich auch in der Kunst spiegelt. So malten die holländischen Maler häufig vereiste Seen und verschneite Landschaften. Auch die Ausbreitung der Pest wurde vermutlich durch die klimatischen Veränderungen begünstigt. Ähnlich ist die Expansion des Römischen Reichs kaum denkbar, ohne eine klimatisch extrem milde Phase. Erst sie ermöglichte zum Beispiel die problemlose Ernährung der Truppen in Nordafrika. Damals wuchs dort Getreide. Es wurde sogar nach Italien importiert.
Heute forschen Sie am Institut für Material- und Küstenforschung in Geesthacht wieder zu Ihrem ursprünglichem Thema: Dürrevorhersagen für den Mittelmeerraum.
Ja, wir tüfteln an Klimamodellen, die uns möglichst genaue Vorhersagen machen sollen. Bisher sind wir da allerdings noch ganz am Anfang.
Die Bandbreite heutiger Computer reicht nicht im Ansatz für die Menge an künstlich generierten Daten
Was macht es so schwierig?
Wir arbeiten mit Simulationen, die unfassbare Datenmengen selbst generieren und verarbeiten müssen. Dafür speisen wir in das System Eckdaten zur Temperatur von Meeresoberflächen, Meereis-, Schneebedeckung, Boden- und Luftfeuchtigkeit, Wetter, geografische Daten zur Landschaft und so weiter ein. Das sind Beobachtungsdaten. Auf dieser Basis generiert das System neue Daten und errechnet eine Simulation. Doch die Bandbreite heutiger Computer reicht nicht im Ansatz für die Menge an künstlich generierten Daten, die wir bräuchten, um die Realität wirklich angemessen wiedergeben zu können.
Die Auflösung der Klimamodelle ist also extrem grob?
Genau. Die Höhe der Alpen wird beispielsweise mit nur wenigen Zahlen dargestellt. Wenn man in einer Simulation ein Koordinaten-Gitter benutzt, das etwa 200 km darstellen soll, und näher reinzoomt, sind die Alpen deshalb nur ein Klumpen ohne Details. Wolken erscheinen gar nicht, sie sind viel zu klein. Natürlich könnten wir super Alpenbilder mit x Wetter, Boden- und Klimadaten simulieren. Aber sie zeigen dann nur einen Miniausschnitt, mit dem sich keine Klimavorhersagen treffen lassen. Hinzu kommt, dass die Simulationsmodelle technisch noch nicht perfekt und viele Daten noch unvollständig sind. Wir bräuchten möglichst lückenlose Daten über Winde, Meerestemperaturen in unterschiedlichen Tiefen, Bewölkung, Luftfeuchtigkeit und so weiter, die kontinuierlich im erhoben Zeitverlauf werden. Es gibt bislang aber nur punktuelle Messungen.
Welche Lösungen sehen Sie in der Zukunft?
Wir hoffen, dass uns KI-basierte Modelle erheblich nach vorn bringen. Der entscheidende Vorteil von Big Data-Anwendungen, die auf Machine Learning beruhen, ist: Man kann dem System eine sehr spezifische Frage stellen, für dessen Bearbeitung es weniger Daten braucht als für die hyperkomplexen Simulationen. Maschinenlernende Algorithmen funktionieren zudem ganz anders als Simulationen: Sie suchen rein empirisch nach Mustern in Daten, nach Korrelationen, im Idealfall finden sie sogar kausale Zusammenhänge. Vielleicht ist eine der Ursachen für die Dürre im Mittelmeerraum die Meeresoberflächentemperaturen im tropischen Atlantik? Oder die Eisbedeckung im Arktischen Ozean?
Machine Learning könnte unsere statistischen Methoden ersetzen oder erheblich verbessern. Damit Dürren nicht mehr zu Katastrophen werden.
Eduardo Zorita
Interview: Anja Dilk