Basketballer am Superrechner
Quantencomputer versprechen unvorstellbare Rechenleistungen – theoretisch. Bislang scheitert ihre Anwendung daran, dass ihre Ergebnisse voller Fehler stecken. Tom Weber arbeitet an der DASHH an einer Software, die das ausgleichen soll.
Jetzt kümmert er sich auch noch um einen Hund: „Marley heißt er, ein Mischling aus Pudel und Westhighland-Terrier“, sagt Tom Weber und deutet auf das weiße Tier, das neben ihm in einem Hundekörbchen liegt. Die Eltern seiner Freundin haben Marley zu ihnen in Pflege gegeben, und so kommt Tom Weber zumindest zu ausgedehnten Spaziergängen, wenn schon sein Basketball-Training wegen der Corona-Pandemie seit Monaten ausgefallen ist.
Es lässt sich leicht plaudern mit Tom Weber. Als erstes fallen die markanten Locken auf seinem Kopf auf, die ihn noch größer wirken lassen, als er mit seiner klassischen Basketballer-Figur von fast zwei Metern ohnehin schon ist. Und vor allem: Mit der gleichen Leichtigkeit, mit der er über Hunde erzählt oder über seinen Sport, wechselt er plötzlich hin zu dem hochkomplexen Thema, das ihn gerade am meisten beschäftigt: zu Quantencomputern. „Ich bin völlig ungeplant zu diesem Thema gekommen“, erzählt er, „aber als ich das erste Mal davon gelesen habe, war ich sofort fasziniert.“ Der offizielle Titel seiner Doktorarbeit lautet „Optimization of quantum circuits using error analysis and modeling“ – aber er schiebt gleich eine Erklärung hinterher, die das Thema verständlicher macht: „Quantencomputer haben derzeit hohe Fehlerraten. In meinem Projekt suche ich nach Methoden, wie sie sich trotzdem in naher Zukunft nutzen lassen.“ Wie eine Art Filter kann man sich die Software vorstellen, die Tom Weber entwickelt: Sie filtert die Rechenergebnisse von Quantencomputern und bereinigt sie um die Fehler.
Fehlerhafte Qubits
Die Geschichte seines Faibles für komplexe Themen beginnt früher. Zwischen Hamburg und Lüneburg ist Tom Weber aufgewachsen, und schon in der Schule merkte er, dass ihn die Fragestellungen aus dem Physikunterricht faszinieren. Physik als Studienfach stand für ihn nie in Frage. Während seines Masters in Hamburg spezialisierte er sich auf mathematische Aspekte in der Physik. „Ich hatte eigentlich vor, in Mathe zu promovieren – aber aus etlichen Promotionsstellen, für die ich mich beworben habe, ist nichts geworden.“ Aber dann stieß er zufällig auf die Ausschreibung für dieses Projekt: Von der DASHH kam sie (Data Science in Hamburg – Helmholtz Graduate School for the Structure of Matter), einer von sechs Helmholtz Information & Data Science Schools. Sie alle gehören zur Helmholtz Information & Data Science Academy (HIDA), dem deutschlandweit größten postgradualen Ausbildungsnetzwerk im Bereich Information & Data Science. Gesucht wurde ein Doktorand, der sich mit Quantencomputern auseinandersetzen sollte – „ich las die thematische Skizze, und die hat mir so gut gefallen, dass ich mich gleich beworben habe.“ Er bekam die Stelle und trat sie mit gerade einmal 24 Jahren an – als Kind übersprang er die erste Klasse und war deshalb gerade einmal 17, als er mit dem Studium begann.
Wie oft er schon erklärt hat, woran genau er forscht? „Ungezählte Male“, sagt Tom Weber ohne weiteres Nachdenken. Normalerweise fängt er bei diesen Erklärungen damit an, wie ein Quantencomputer funktioniert. Während ein herkömmlicher Computer Bits verarbeitet, die Nullen und Einsen enthalten, nutzen Quantencomputer Quantenbits, die sogenannten Qubits. Die können nicht nur Nullen und Einsen abbilden, sondern auch alle denkbaren Werte dazwischen annehmen. Dadurch können sie parallel mehr Rechenoperationen durchführen – Experten gehen davon aus, dass sie schon bald selbst die heutigen Supercomputer in den Schatten stellen können, die mit herkömmlichen Bits arbeiten. „Das einzige Problem ist, dass Qubits noch sehr fehlerhaft arbeiten“, sagt Tom Weber. „Übertragen auf klassische Computer kann man sich das in etwa so vorstellen, als ob sie statt einer Null plötzlich eine Eins anzeigen.“ An der Stelle setzt sein Forschungsprojekt an: Diese Fehler gilt es aus den Ergebnissen herauszurechnen.
Vor einem Quantencomputer stand er noch nie
Die Wissenschaft, muss man dazu wissen, setzt derzeit große Hoffnungen auf den Quantencomputer. Hinter den Kulissen findet ein Wettrennen statt, an dem sich auch große Unternehmen beteiligen: IBM etwa forscht intensiv an Quantencomputern, Google unterhält ein aufwendiges Forschungsprogramm und auch chinesische Unternehmen wie Alibaba und Baidu melden immer mehr Patente an. Bei diesem Wettlauf geht es vor allem um die Frage, wieviele Qubits man heute schon in einen Computer einbauen kann – wie leistungsfähig also die Rechner sind. Regelmäßig gibt es dabei bemerkenswerte Fortschritte; das Problem bleibt allerdings die Fehlerrate.
„Die Wissenschaft geht diese Herausforderung von zwei Seiten an“, erklärt Tom Weber: „Es gibt Forscher, die sich darauf konzentrieren, die Fehlerrate zu verringern. Dabei geht es vor allem um eine Verbesserung der Hardware.“ Und dann gibt es die zweite Seite – die, auf der sein eigenes Projekt angesiedelt ist: „Wir akzeptieren, dass die Quantencomputer noch nicht so zuverlässig funktionieren, und versuchen, ihre fehlerhaften Ergebnisse trotzdem nutzbar zu machen.“ An einem Quantencomputer hat Tom Weber selbst noch nie gestanden. Wenn er ihre Rechenleistung nutzt, dann von zu Hause aus oder aus dem Büro – von dort aus schickt er die Aufgaben an den Quantencomputer (er nutzt bisher Geräte von IBM, die sich im US-Bundesstaat New York befinden) und bekommt kurz darauf dessen Ergebnisse zurück.
Der Quantencomputer rechnet die gleiche Aufgabe etliche Male durch. Tom Weber entwickelt eine Software, die auf einem klassischen Computer läuft und die Ergebnisse des Quantencomputers auf Abweichungen und Auffälligkeiten hin untersucht.
Eine Software zum Überprüfen der Superrechner
Und wieder greift Tom Weber zu einem plastischen Vergleich, um seine Arbeit zu erläutern: „Stellen Sie sich einen Würfel vor“, sagt er: „Wenn Sie einmal würfeln und es kommt eine vier raus, ist das eine Momentaufnahme. Erst wenn Sie häufig hintereinander würfeln und sich die Ergebnisse anschauen, zeichnet sich ein Bild ab. Sie erkennen, ob es Abweichungen und Auffälligkeiten gibt.“ Übertragen auf Tom Webers Arbeit bedeutet das: Der Quantencomputer rechnet die gleiche Aufgabe etliche Male durch. Und Tom Weber entwickelt eine Software, die auf einem klassischen Computer läuft und die Ergebnisse des Quantencomputers auf diese Abweichungen und Auffälligkeiten hin untersucht. „Ich lasse den Quantencomputer dafür eine Aufgabe rechnen, deren Ergebnis ich kenne. So kann ich überprüfen, ob mein Programm aus den Ergebnissen des Quantencomputers die richtigen Schlüsse zieht.“
Eine hochgradig mathematische Aufgabe ist das – genau da schließt sich der Kreis zu seinen ursprünglichen Plänen, in Mathe zu promovieren. Tom Weber erinnert sich noch gut an das entscheidende Gespräch, bevor er die Stelle in der Graduiertenschule bekam: „Da saßen mir eine Mathe- und Physikprofessorin gegenüber, eine Doktorandin aus dem Team, in dem ich jetzt arbeite, und zwei PostDocs, und allen war klar, dass ich mit Quantencomputern bis dahin noch nichts am Hut hatte.“ Trotzdem: Wegen seiner mathematischen Kenntnisse wurde er ausgewählt – und weil die Chemie stimmte. Denn auch das ist wichtig, schließlich forscht Tom Weber nicht im stillen Kämmerlein. Über die Woche hinweg ist er an den unterschiedlichsten Arbeitsgruppen beteiligt, an der Universität Hamburg ebenso wie in Zeuthen am DESY. „Bei allen diesen Treffen geht es um einzelne Aspekte, die für meine Arbeit eine Rolle spielen“, sagt Tom Weber – „und ich nehme von überall dort viel Wissen mit.“
So viel Wissen, dass er sich manchmal abreagieren muss. Und schon ist das Gespräch wieder beim Basketball und dem Mischlingshund Marley. Auch am Klavier übt er nach seiner Arbeit regelmäßig: „Ich habe angefangen zu spielen, als ich sieben Jahre alt war“, sagt Tom Weber. Gerade beiße er sich die Zähne an Frédéric Chopins „Fantaisie Impromptu“ aus – und anders als beim Basketball hat er hier am Klavier keine coronabedingte Pause.
Autor: Kilian Kirchgeßner