Wenn KI die Gedanken liest: Was verrät ein Hirnscan?

In der Wissenschaft werden seit einigen Jahren Gehirnscans immer erfolgreicher eingesetzt, um die Gedankenwelt eines Menschen und seine Verhaltensweisen zu erforschen. Illustration: Eva Künzel

Künstliche Intelligenz ermöglicht es, aus Hirnscans Charakterzüge und psychische Erkrankungen zu erkennen. Das verspricht Fortschritte in der Medizin, wirft aber auch ernste ethische Fragen auf: Wie ermöglichen wir den Einsatz und verhindern zugleich Missbrauch?

Ein Gastbeitrag von Prof. Simon Eickhoff und Anna Geiger - Institut für Neurowissenschaften und Medizin: Gehirn und Verhalten (INM-7) am Forschungszentrum Jülich.


Unsere Gedanken, Gefühle und Überzeugungen machen uns als Menschen einzigartig. Sie formen unsere Identität und beeinflussen unser Verhalten sowie unsere Entscheidungen. Bisher galt zudem als sicher: Wir können einander nur vor den Kopf schauen, nicht aber in den Kopf. Doch diese Gewissheit gerät zunehmend ins Wanken.

Smartphones sammeln von vielen unbemerkt umfassende Informationen  über Bewegungsmuster, Schlafrhythmus, Handynutzung, Interessen und andere Verhaltensweisen. Mit Hilfe von Algorithmen ist es jetzt schon möglich, mittels dieser Daten zahlreiche Rückschlüsse über eine Person zu ziehen: Zum Beispiel geben Bewegungsmuster und Schlafverhalten Hinweise auf das Energielevel und die Stressresistenz einer Person. Die Handynutzung ermöglicht aber auch Rückschlüsse über ihre sozialen Interaktionen und das Kommunikationsverhalten. Und in Zukunft dürfte es mit Hilfe von künstlicher Intelligenz möglich sein, solche Analysen noch auszuweiten - zum Beispiel auf Aussagen über Persönlichkeitsmerkmale oder psychische Erkrankungen.

Durch Algorithmen ist es jetzt schon möglich, Alzheimer zu erkennen.

Prof. Simon Eickhoff

Prof. Dr. Simon B. Eickhoff

Prof. Dr. Simon B. Eickhoff ist Direktor des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7; Gehirn und Verhalten) am Forschungszentrum Jülich und Direktor des Instituts für Systemische Neurowissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Simon Eickhoff arbeitet an der Schnittstelle zwischen Neuroanatomie, Data-Science und Hirnmedizin und ist ein führender Experte in der datenintensiven neurowissenschaftlichen Forschung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und High-Performance-Computing.

Er entwickelt, implementiert und wendet innovative Ansätze auf große Neuroimaging-Datensätze an, um die interindividuelle Variabilität des menschlichen Gehirns sowie seine Veränderungen während der Entwicklung und des Alterns zu modellieren und in neuartige diagnostische und prognostische Algorithmen zu übersetzen. Dieses Ziel wird durch die Entwicklung und Anwendung neuartiger Analysewerkzeuge und -ansätze für die groß angelegte, multimodale Analyse von Gehirnstruktur, -funktion und -konnektivität sowie durch maschinelles Lernen für die Vorhersage kognitiver und sozio-affektiver Merkmale bei einzelnen Personen und letztlich für die Präzisionsmedizin verfolgt.

In der Wissenschaft werden seit einigen Jahren zudem Gehirnscans aus Magnetresonanztomografen (MRT) immer erfolgreicher eingesetzt, um die Gedankenwelt eines Menschen und seine Verhaltensweisen zu erforschen. Unterstützt durch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), die wir auch am Forschungszentrum Jülich seit einigen Jahren entwickeln, soll es möglich werden, diverse Eigenschaften und Wesenszüge direkt und objektiv zu messen.

Was uns dazu antreibt? Gerade in der Medizin bietet KI viele Einsatzmöglichkeiten: Durch Algorithmen, die in der Lage sind, komplexe Muster und Zusammenhänge zu verstehen, ist es jetzt schon möglich, Alzheimer zu erkennen. Und die Chancen stehen gut, dass sich in Zukunft vermutlich auch Erkrankungen wie Parkinson, Schizophrenie oder Depressionen frühzeitig anhand von MRT-Scans diagnostizieren lassen, bevor sie das Leben der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigen. Auch werden wir wahrscheinlich künftig mit Hilfe von KI vorhersagen können, wie individuelle Patienten auf bestimmte Medikamente oder Therapien reagieren.

Darüber hinaus gibt es in einigen Bereichen der Gesellschaft ein hohes Interesse an möglichst subjektiven Einschätzungen von anderen Personen: Richter müssen beispielsweise beurteilen, ob sich ein Straftäter während seiner Haft tatsächlich verändert hat. Psychologen müssen die Beschwerden eines Patienten richtig einschätzen. 

Bisher führen Psychologen und Gutachter zur Einordnung von Personen Interviews und diverse Tests durch. Die Interviewten müssen dafür allerdings kooperieren und die Meinung des Gutachters kann das Ergebnis beeinflussen. Außerdem versuchen die Interviewten möglicherweise durch geschönte Antworten eine positive Bewertung zu erhalten. Dieses Vorgehen hat also zweifellos Schwächen.

Wissenschaftler konnten bereits Alter, Geschlecht und Persönlichkeitszüge vorhersagen. 

Anna Geiger

Anna Geiger, Forschungszentrum Jülich

Anna Geiger hat Neuropsychologie an der Universität Maastricht studiert und arbeitet seit 2018 als wissenschaftliche Koordinatorin am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7; Gehirn und Verhalten) im Forschungszentrum Jülich. Sie fungiert hier als Schnittstelle zwischen Administration und Wissenschaft, übernimmt Koordinations- und Managementaufgaben und ist im Bereich der Wissenschaftskommunikation tätig.

Anna Geiger, Forschungszentrum Jülich

Auf der Suche nach einer neuartigen Methode, mit der persönliche Eigenschaften objektiv vorhergesagt werden können, haben wir in unserem Institut Brain and Behaviour vor sieben Jahren damit begonnen, individuelle Eigenschaften mittels künstlicher Intelligenz vorherzusagen. 

Dazu füttern wir zunächst einen Algorithmus mit den Hirnscans einer sehr großen Anzahl von Personen, sowie mit der Information über das Geschlecht der jeweiligen Probanden. “Das Geschlecht” steht hierbei stellvertretend als Beispiel für die Eigenschaft, die letztendlich vorhergesagt werden soll. Diese könnte auch das Alter, ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal oder der bevorzugte Musikgeschmack sein. Als nächstes trainieren wir den Algorithmus darauf, Muster und Zusammenhänge zwischen den Bilddaten und dem Geschlecht der Personen zu finden.

So soll der Algorithmus lernen, das Geschlecht einer Person nur anhand ihres Hirnscans vorherzusagen. Um zu überprüfen, ob dies fehlerlos klappt, füttern wir den Algorithmus in einem nächsten Schritt mit den Hirnscans neuer, bisher unbekannter Probanden. Anhand derer soll nun das Geschlecht vorhergesagt werden. Falls das noch nicht gut klappt, also das Geschlecht in einigen Fällen nicht korrekt bestimmt wird, passen wir den Algorithmus immer weiter an. So können wir die Genauigkeit des Algorithmus verbessern. Mit dieser Methode konnten Wissenschaftler unseres Instituts bereits mit einer hohen Präzision das Alter, das Geschlecht sowie bestimmte Persönlichkeitszüge wie Extraversion, Neurotizismus, Verträglichkeit und Offenheit von unbekannten Personen erfolgreich vorhersagen. Damit wird es immer besser möglich, Menschen in den Kopf zu schauen. 

Es ergeben sich wichtige rechtliche und ethische Fragen und Bedenken, die ernst genommen und offen diskutiert werden müssen, bevor KI-gestützte Auswertungen in öffentlichen Bereichen zum Einsatz kommen können.

Bei vielen Menschen dürfte dies nicht nur für Faszination, sondern auch  für Gänsehaut sorgen. Denn natürlich droht auch potentieller Missbrauch - zum Beispiel von Krankenversicherungen. Diese könnten die Gesundheitsdaten ihrer Kunden verwenden, um detaillierte Risikoprofile zu erstellen, etwa für psychische Erkrankungen. Missbräuchlich genutzt, könnten diese Risikoprofile von Versicherungen dazu verwendet werden, Prämien zu erhöhen, Leistungen bei Verdacht auf eine Vorerkrankung zu verweigern oder sogar Versicherungsanträge abzulehnen.

Es ergeben sich also wichtige rechtliche und ethische Fragen und Bedenken, die ernst genommen und offen diskutiert werden müssen, bevor KI-gestützte Auswertungen in öffentlichen Bereichen zum Einsatz kommen können. Eine zentrale Frage dabei ist, wie die Privatsphäre und Autonomie der Einzelpersonen gewahrt werden können. Aktuell mangelt es an konkreten Regelungen, unter welchen Umständen und inwieweit der Zugriff auf persönliche Daten für solche Zwecke gerechtfertigt ist. 

Auf Basis eines alten MRT-Scans könnten sich Dinge vorhersagen lassen, an die der Betroffene nie gedacht hat. 

Auch müssen Gesetze geschaffen werden, die den Datenschutz und die Datensicherheit gewährleisten. Es muss die Frage der Verantwortung im Fall von Fehleinschätzungen bzw. Fehlentscheidungen durch Algorithmen geklärt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Menschen vorab vollständig verstehen, welche Daten gesammelt und wie sie verwendet werden, bevor sie ihre Zustimmung geben. Denn auf Basis eines alten MRT-Scans vom Gehirn, der irgendwann aufgrund einer spezifischen Erkrankung gemacht wurde, könnten sich in Zukunft eventuell Dinge vorhersagen lassen, an die der Betroffene niemals gedacht hat. 

Wir fordern deshalb Politiker, Ethikkommissionen und die Zivilgesellschaft auf, sich damit auseinanderzusetzen, ob und wie weit der Zugriff auf persönliche Daten gerechtfertigt ist und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Missbrauch zu verhindern. Um dies zu unterstützen, erarbeiten Mitarbeiter unseres Instituts bereits seit 2021 einen Bewertungsrahmen für den Einsatz, medizinischer KI, der ethische und rechtliche Aspekte umfasst und die Erwartungen sowohl von Ärzten, als auch Patienten berücksichtigt, die die Verwendung dieser neuartigen Technik direkt betrifft. (Mehr dazu erfahren Sie in diesem Artikel.)

Richtig eingesetzt, kann KI zur Steigerung der Lebensqualität beitragen

Es gibt viele gute Gründe, warum sich der Aufwand lohnt. Die Methoden, geschult an unzähligen Datensätzen, erkennen in Hirnscans selbst die subtilsten Anomalien, weit jenseits der Fähigkeiten des menschlichen Auges. Wenn wir die einzigartigen Eigenschaften eines Gehirns verstehen und diese mit den individuellen Merkmalen der Menschen in Verbindung bringen, können maßgeschneiderte Therapiepläne für Patienten erstellt werden. Diese versprechen eine höhere Wirksamkeit und Effizienz. So trägt KI nicht nur zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse bei, sondern auch zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen. 

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