Für die Forschung brennen: Promovieren an der MUDS
Die Munich School for Data Science vereint starke Forschungspartner und ist damit ein Magnet für künftige Data Scientists. Mit dem „Industry-track“ bindet die MUDS auch Firmen in die Doktorandenausbildung ein. Beide Seiten, Unternehmen und Wissenschaft, profitieren von der Zusammenarbeit.
Als Dominik Winkelbauer zum ersten Mal den großen Roboter-Saal im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR in Oberpfaffenhofen bei München besucht, haut es ihn schlicht um. Da steht der Lightweight Rover, dieser blau-silberne Marsroboter wie ein Käfer mit langem Hals auf vier Rädern. Da sind all die Drohnen, mit denen künftig Gebirge und vielleicht auch der Weltraum erkundet werden sollen. Da blickt der anthropomorphe Roboter Justin, einem eleganten Menschen ohne Rumpf und Beine ähnelnd, dem Besucher entgehen, beeindruckend seine feingliedrigen Hände, die menschenähnlichen Finger, der Stereoblick aus den zwei Kameras im metallenen Gesicht. Winkelbauer weiß: „Hier will ich hin“. Er beginnt als Werkstudent beim DLR. Zwei Jahre später hat er den Informatik-Master an der Technischen Universität München TUM in der Tasche. Dann macht ihm sein Prof einen Vorschlag: „Promoviere doch über die MUDS, die Munich School for Data Science.“ So könnte er am DLR forschen, würde gleichzeitig von einem Datenwissenschaftler und einem Physiker betreut und anwendungsbezogene Spezialkurse machen, zugeschnitten auf die Anforderungen der interdisziplinären Zusammenarbeit, und promovieren als Teil einer internationalen Community. Winkelbauer: „Das hat mich überzeugt.“
München Neuherberg, der langgezogene Holzbau des Helmholtz Munich Computional Health Center. Hier arbeitet Fabian Theis an der mathematischen Modellierung biologischer Systeme und spinnt die Fäden für eine innovative Ausbildung von Doktoranden wie Dominik Winkelbauer. Lange hat es ihn gewurmt, dass die Doktorandenförderung in Deutschland im internationalen Vergleich zurück hängt. „Graduiertenschulen, die auf ein interdisziplinäres, systematisches Konzept setzen, Promovierende in einem Team von Wissenschaftlern rekrutieren und begleiten, sind den USA oder Großbritannien schon lange üblich. Bei uns dagegen hatten bis vor zehn Jahren die meisten Promovierenden nur einen Betreuer – das war‘s.“ Wie soll so eine hervorragende Ausbildung des wissenschaftlichen Top-Nachwuchses gesichert werden, gerade auf einem so brisanten Gebiet wie den Datenwissenschaften? „Zumal Big Data und Machine Learning inzwischen für fast alle Fachwissenschaften der fundamentale Motor in der Forschung sind, von der Biomedizin über die Informatik und Physik bis zu den Sozialwissenschaften.“
Spannende Aufgaben für Top-Data-Scientists
2019 wurde in Kooperation mit der Helmholtz Information & Data Science Academy (HIDA) die MUDS auf den Weg gebracht. Die HIDA ist eine Initiative der Helmholtz Gemeinschaft, unter deren Dach sechs Helmholtz Information & Data Science Schools (HIDSS) ins Leben gerufen wurden. Theis hat mit Kolleginnen und Kollegen das Konzept für die MUDS entwickelt, einer Graduate School, die mit dem Helmholtz Zentrum München, der TUM, der Ludwig-Maximilians-Universität LMU, dem DLR und dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik zusammenarbeitet. Das Programm besteht aus einem Mix aus eigenen Kursen, Seminarreihen, Retreats und individuell kombinierten Angeboten der internen Doktorandenprogramme an den Partnerinstitutionen und der anderen HIDSS. Das Ziel: „Wir wollen Top-Data-Scientists ausbilden, indem wir die Methodenentwickler aus den Datenwissenschaften mit den Anwendungsdomänen zusammenbringen – denn an der Schnittstelle entstehen die spannenden Aufgaben, die unsere Forschung voranbringen.“
Munich School for Data Science
Munich School for Data Science
An der MUDS forschen aktuell über 70 Promovierende in den Anwendungsbereichen Biomedizin, Plasmaphysik, Erdbeobachtung und Robotik. Die Schule ist damit die größte im Verbund der Helmholtz Information & Data Science Schools.
Erfahren Sie hier mehr über die MUDS:
Wer Daten generiert und sammelt, aber sie nicht analysieren kann, kommt nicht weiter. Wer das Methoden-Know-how für Analysen hat, aber nicht auf Forschungsfragen anwenden kann, steckt in der Theorie fest. An der MUDS promovieren Data Scientists daher an dieser Schnittstelle in vier Bereichen: Biomedizin, Plasmaphysik, Erdbeobachtung und Robotik. Betreut werden sie im Tandem von einem Principal Investigator (PI) aus der jeweiligen Anwendungsdomäne und einem methodenorientierten PI. Die Forschungsthemen der Doktoranden sind so divers wie die Datenvielfalt an den Partnerinstituten: Mal werden Social-Media- und Satelliten-Daten ausgewertet, um neue Konzepte der Stadtplanung entwickeln zu können. Mal geht es um Analysen von Messdaten in Plasmareaktoren, die die Energiegewinnung durch Kernfusion voranbringen sollen. Mal werden neue Wege der Auswertung und Verarbeitung von Patientendaten gesucht, die Präzisionsmedizin ermöglichen sollen.
74 Promotionsstellen gibt es derzeit an der MUDS: 38 werden durch die Helmholtz-Gemeinschaft und die Partnerinstitutionen gemeinsam finanziert, zusätzlich 36 „assoziierte Doktoranden“ werden aus unterschiedlichen Drittmitteln gefördert – Tendenz steigend. Die Hälfte der Promovierenden sind internationale Post-Graduates. Etwa 280 Bewerbungen erhält die MUDS im Schnitt pro Runde. Wer sich in dem mehrstufigen Auswahlverfahren durchsetzen will, braucht nicht nur Spitzen-Noten und -Referenzen, sondern muss schon in der Online-Bewerbung in einem Essay überzeugend schildern, wofür sie oder er „brennt“, wie es MUDS-Koordinatorin Julia Schlehe nennt.
Interdisziplinärer Austausch ist ein Muss
Seit November 2020 ist Dominik Winkelbauer als Doktorand dabei. Beim DLR in Oberpfaffenhofen arbeitet er daran, einem Roboterarm für den Haushalt das Greifen beizubringen. Ein Glas Wasser einschütten ohne zu kleckern etwa. „Für Roboter ist das eine ungeheuer komplexe Aufgabe“, sagt Winkelbauer. „Müsste er eine gute Position für jeden Finger berechnen, bräuchte er für jeden Griff eine Dreiviertelstunde – und verschüttete vermutlich trotzdem noch etwas.“ Wenn der Roboterarm gar Glasreiniger aus einer Flasche sprühen soll, ist so ein System völlig überfordert. Mit vier Fingern halten, einer auf dem Abzug, passender Winkel, richtiger Druck – unmöglich zu berechnen. Also trainiert Winkelbauer seine Roboter-KI an lernbasierten Modellen. Er füttert sie tonnenweise mit Daten von Beispielgriffen und hofft, dass die KI so irgendwann gelernt haben wird, wie sie das Wasser sicher in ein Glas schütten kann.
„Ohne den Austausch mit den Physikern an der MUDS könnte ich das gar nicht machen,“ erzählt Winkelbauer. Denn er braucht gute physikalische Simulationen, um seinem Robot-Arm das Greifen beizubringen. Alle paar Wochen setzt sich Winkelbauer daher mit seinen Betreuern aus dem DLR, und den PIs aus Physik und Datenwissenschaften zusammen und sucht nach Lösungen für sein „Optimierungsproblem“, wie die Methode in den Datenwissenschaften heißt. In ihrem wöchentlichen Seminar oder auf Doktorandensymposien stellen sich die Studierenden an der MUDS ihre Arbeiten gegenseitig vor und diskutieren darüber. „Es ist erstaunlich, wie oft ähnliche Methoden der Datenwissenschaften bei völlig unterschiedlichen Problemen auf unterschiedlichen Feldern angewandt werden“, sagt Winkelbauer. „Auch in der Plasmaphysik arbeiten die Data Scientists zum Beispiel mit Optimierungsproblemen – da lernen wir viel voneinander.“
Das Konzept der MUDS überzeugt auch die Industrie. Vor einem Jahr hat die MUDS einen „Industry-Track“ eingeführt, in dem sie Firmen und Wissenschaftler für neue Forschungsprojekte zusammenführt. Die Pharmaunternehmen Roche oder Boehringer-Ingelheim sind dabei, mit fünf weiteren Firmen wird derzeit verhandelt. Die ersten drei zusätzlichen Doktoranden-Plätze sind bereits besetzt, finanziert von den Unternehmen. Gemeinsam betreuen die Wissenschaftler der Firmen und der Hochschulen den Nachwuchs. Zum Beispiel mit Roche in Penzberg.
"Die MUDS als Graduiertenschule ist ein Beschleuniger, der hervorragenden Leute innerhalb von vier Jahren einen ungeheuren Schub gibt."
Manfred Wolter
Abteilungsleiter im Bayrischen Wirtschaftsministerium, ist im Gespräch mit Fabian Theis überzeugt, dass die MUDS ein wichtiges Element der KI-Förderung in Bayern ist. Lesen Sie hier mehr dazu
„Neue Forschungsimpulse für das Unternehmen“
Fabian Schmich ist dort Principal Data Scientist und leitet das Netzwerk Künstliche Intelligenz (KI): „Durch die Kooperation mit der MUDS kommen wir an hervorragende Leute, die wir sonst selbst als großer Player kaum gewinnen könnten.“ Zu groß ist die Konkurrenz, zu viele Unternehmen und Forschungsinstitute buhlen um Top-Talente auf dem Feld. Schmich betreut nun zwei MUDS-Doktoranden bei Roche. Zwei- bis dreimal pro Woche trifft er sich mit den Nachwuchsforschern und tauscht sich aus: Welche Methoden könnte man noch probieren? Wie stimmig ist das neue Manuskript? Zu den Schwerpunkten von Roche gehört die Entwicklung von Krebsmedikamenten. „Über die Vernetzung mit externen Forschungsinstituten wollen wir übergreifende, neue Entwicklungen in der KI ins Unternehmen holen“, sagt Schmich. Auch in der Krebsforschung entwickelt sich der Einsatz von KI rasant, doch im Alltagsgeschäft muss sich Roche als Medikamentenhersteller auf anwendungsorientierte Projekte konzentrieren. „Spezielle, tiefergehende Forschungsthemen oder völlig neue Ansätze sind da meist zu komplex und aufwändig, um im Arbeitsalltag bearbeitet werden zu können“, so Schmich. „Die Zusammenarbeit mit der MUDS ist daher für uns ein genialer Weg, um solche neuen Forschungsimpulse in das Unternehmen zu holen.“
Schmich hat selbst an der Auswahl der Doktoranden teilgenommen. Vorab wurden im Unternehmen passende Forschungsfelder abgesteckt: Welche Themen sind derzeit für uns besonders relevant, wie durchführbar ist ihre Bearbeitung im Rahmen einer Dissertation, wo können wir die optimalen Rahmenbedingungen bieten? Seit Ende 2019 forschen Mathematiker Ali Bousheri und Informatiker Hugo Loureiro als MUDS-Doktoranden bei Roche. Bousheri will herausfinden, wie sich immunologische Synapsen zwischen Zellen bilden und dieser Prozess durch die Gabe von Antikörpermedikamenten in der Krebstherapie beeinflusst werden kann. Loureiro analysiert digitale Patientenakten, um elektronische Vorhersagemodelle zum Erfolg von Krebstherapien machen zu können. Fünfzig Prozent ihrer Zeit verbringen die Doktoranden bei Roche, fünfzig Prozent an der Uni.
MUDS-Leiter Fabian Theis ist dabei wichtig: „Unsere Doktoranden machen keine Auftragsforschung für Unternehmen, sie schreiben gemeinsam mit den Unternehmen an öffentlich verfügbaren, unabhängigen Papers.“ „Collaborative Projects“ nennt Theis den Ansatz. „Die Firmen sind Partner, die der Gesellschaft auch etwas zurückgeben wollen und nicht nur Geschäftsinteressen im Blick haben.“
Fabian Theis muss bald los. Es gibt noch viel zu tun. Eigene Forschungsprojekte mit Machine Learning in der Biomedizin voranbringen, Kooperationen für die MUDS ausdehnen. Beides ergänzt sich hervorragend. Seine inhaltliche Vision für die MUDS: „Eine Forschung, die vertrauenswürdige, möglichst transparente Machine-Learning-Lösungen erarbeitet, Datenschutz ernst nimmt und eine diskriminierungsfreie Programmierung von Algorithmen sichert.“ Seine organisatorische Vision: „Eine dynamische Doktorandenausbildung auf höchstem Niveau, die Forschung an der Schnittstelle von Data Science und Anwendungswissenschaften sichert.“
Doktorand Dominik Winkelbauer wird noch zwei, drei Jahre intensiv an seinem komplexen Roboterarm tüfteln. Und danach? „Vielleicht bleibe ich in der Robotikforschung, vielleicht wechsele ich auch in die Industrie. Dort kann man viel mit smarten Robotern bewegen und ist noch näher an der Anwendung.“ Roche-Mann Fabian Schmich kann es sich ohne seine beiden MUDS-Doktoranden gar nicht mehr vorstellen. „Wir sind sehr happy mit der Zusammenarbeit“, sagt Schmich. 2023 werden sie fertig sein. „Wenn dann Stellen frei sind, würden wir sie am liebsten sofort übernehmen.“ Und dann in Zusammenarbeit mit der MUDS die nächsten Doktoranden suchen.
Autorin: Anja Dilk